Cyberermittler mit Studium

Symbol von Handfesseln in einem Informatiksystem
Cyberermittler mit Studium
Die Computerkriminalität hat in NRW um 24 Prozent zugenommen. Cybergangster werden immer dreister. Bislang gibt es zu wenig Spezialisten, um ihnen das Handwerk zu legen.
Streife-Redaktion

Das Dark- und das Internet sind der Raum für dunkle Geschäfte. Bei Kinderpornografie, Rauschgifthandel, Terrorismus und Internetkriminalität. Die Täter unterwandern Wirtschaftsunternehmen, legen Medienunternehmen lahm oder attackieren kritische Infrastruktur wie Energieversorger und Krankenhäuser. Mit ihren IT-Angriffen erpressen die Hacker reichlich Lösegeld. Das sind nur einige der Bereiche, in denen internationale Gangster agieren und Milliardenschäden verursachen. Cyberkriminalität ist ein weltweites Phänomen, das weder an Landesgrenzen noch vor verschlossenen Türen Halt macht. Sie kann überall stattfinden, wo Menschen Computer, Smartphones und andere IT-Geräte benutzen.

Mit einer Qualifizierungsoffensive will nun die nordrhein-westfälische Polizei die im Netz operierenden Kriminellen bekämpfen. Weil Ermittler mit polizeilichem Wissen und zusätzlicher Expertise in Bezug auf Cybercrime gebraucht werden, bietet der Cyber Campus NRW ab dem Wintersemester ein Bachelor-Curriculum für Polizistinnen und Polizisten an.

Die ersten 18 Polizistinnen und Polizisten nehmen dann zunächst das Studium „Cyber Security Management“ auf. Sie werden dafür zu 50 Prozent vom Dienst freigestellt. Das Interesse ist trotz der zu erwartenden Mehrbelastung enorm.

Es dauert noch ein Jahr, bis das Studienmodell für Cyberkriminalisten steht. Es wird von den Hochschulen Niederrhein und Bonn-Rhein-Sieg in Zusammenarbeit mit der Polizei entwickelt. Bis dahin sammeln die Pioniere erste Erfahrungen, die beim späteren Feintuning noch gefragt sein dürften. Derzeit werden Ausbildungsmodule entworfen, die zu den polizeilichen Anforderungen passen. Ab dem Wintersemester 2023/24 können dann weitere Plätze mit Polizistinnen und Polizisten belegt werden. Die Bewerber sollten auf jeden Fall analytische und mathematische Fähigkeiten mitbringen.

Der Bedarf an Cyberermittlern ist riesig. In NRW, in Deutschland, in Europa, auf der ganzen Welt. Die aktuelle geopolitische Krisenlage birgt zusätzliche Gefahren, denn es ist kein Geheimnis, dass besonders von Russland aus Cyberkriminelle agieren. Aber nicht nur von dort drohen Gefahren, die Täter können nahezu von jedem Ort der Welt operieren und ihre Spuren relativ gut verschleiern. Zudem muss der Tatort nicht zwingend mit dem Taterfolgsort identisch sein.

Nicht nur die Zahl der betroffenen Computer und Smartphones steigt, sondern auch die Professionalität der Täter. Einerseits versuchen sie weiterhin, mit möglichst geringem Aufwand möglichst viele Computer mit Schadsoftware zu infizieren, um beispielsweise Kontodaten und Passwörter zu stehlen. Andererseits gibt es jedoch auch immer mehr sehr gut vorbereitete Cyberangriffe auf ausgewählte Ziele, bei denen das Schadenspotenzial für die Betroffenen erheblich größer ist.

Die Polizei in Nordrhein-Westfalen ist hoch sensibilisiert und sieht zusätzliches Potenzial in der neuen Bedrohung, um Fachleute für die Bekämpfung der neuen Form von Kriminalität zu gewinnen. Nils Godry leitet die in die Planung eingebundene AG Cyberkriminalistik. „Wir wollen die Kriminalpolizei wieder attraktiv machen“, sagt der Referent für Grundsatzangelegenheiten der Kripo im Innenministerium. „Das, was wir hier auf die Schiene setzen, ist ein Signal. Wir stellen die Weichen in Richtung Zukunft.“

Er verspürt eine deutliche Aufbruchstimmung. Man brauche Kolleginnen und Kollegen mit Methodenkompetenz, die in der Lage sein sollten, Antworten auf digitale Herausforderungen zu finden, die sich erst in einigen Jahren stellen. Die vom Land unterstützte Cyberoffensive kostet finanzielle und personelle Ressourcen. „Doch ohne Invest keine Rendite“, stellt der 43-jährige Kriminaldirektor fest.

Aktuell tüftelt die Polizei mit den beiden Standorten des Cyber Campus in Mönchengladbach und Sankt Augustin daran, wie sich akademisches IT-Wissen und die praktischen Erfahrungen von Ermittlern am besten miteinander verbinden lassen. Für Prof. René Treibert vom Cyber Campus NRW ist ein hoher Schutz vor Datenmissbrauch und -manipulation die Benchmark einer gelungenen Digitalisierungsstrategie. Der Wissenschaftler ist Leiter des Instituts für Informationssicherheit „Clavis“ an der Hochschule Niederrhein (siehe folgendes Interview).

„Die konsequente Anwendungsorientierung ist mindestens genauso wichtig wie die Berücksichtigung aktueller Forschungsergebnisse “, hebt der 62-jährige Hochschullehrer hervor. „Wir möchten die Polizistinnen und Polizisten ja nicht in die Forschung schicken.“

Der Studiengang werde aus Pflichtveranstaltungen und aus spezialisierten Angeboten bestehen, die je nach Interesse hinzugewählt werden können, berichtet der Diplom-Mathematiker und promovierte Sicherheitsingenieur. Wichtig sei, dass man den Bezug zur kriminalpolizeilichen Arbeit nie aus den Augen verliere. „Wir fokussieren uns auf die Breite der Aufgaben, die dort im Alltag warten.“

Vielfältige Anregungen erhofft sich Kriminaloberkommissar Alexander Baatz von dem Studium, das er im Herbst aufnimmt. Er will sein Blickfeld erweitern und mit innovativen Methoden bei der Durchdringung komplexer Sachverhalte vertraut werden. Der 31-Jährige arbeitet beim Polizeipräsidium Münster im KK34, das für Cybercrime, Telekommunikationsüberwachung und die informationstechnische Ermittlungsunterstützung zuständig ist.

„Meine Kollegen und ich haben uns zwar tief in die Materie eingearbeitet und können sehr gute Ergebnisse vorweisen“, sagt er. „Trotzdem stoßen wir immer wieder mal an Grenzen.“ Die Barrieren bei der Tätersuche möchte er so schnell wie möglich überwinden.

Der Westfale aus dem münsterländischen Steinfurt war schon früh von Computern und ihren Hardware-Komponenten fasziniert. „Ich habe mich immer gefragt: Wie funktioniert das eigentlich, was ich da treibe?“ Bei der Polizei sitzt er gern am Schreibtisch vor dem Bildschirm. „Ich finde es total spannend, wenn ich mit IT immer neuen Sachverhalten auf die Spur komme.“ Er könne mit seinen Kenntnissen zur Aufklärung schwerer Delikte beitragen. Andere Kollegen seien lieber auf der Straße unterwegs. „Das ist eben Typsache.“

Natürlich werde auch mal im Kollegenkreis darüber gesprochen, ob seine partielle Abwesenheit durch das Studium zur Mehrbelastung der anderen führe. „Aber ich habe das Gefühl, dass das alle unterstützen. Schließlich eröffnet die Fortbildung die Chance, sich mit polizeilicher Expertise gegen die zunehmenden IT-Angriffe zu wappnen“, so Baatz.

Die Absolventinnen und Absolventen würden sich ja am Cyber Campus kein schönes Leben machen, sondern sehr viel investieren. „Natürlich ist das eine Herausforderung. Aber ich habe richtig Bock drauf“, bekennt der KOK. „Ich hoffe, dass der Ertrag uns allen zugutekommt.“ Es gebe eine Menge zu entdecken.

Niemand braucht neidisch zu sein. Es winken keine Honorierungen oder mit dem Studium verbundene Beförderungen. „Natürlich ist es möglich, dass später irgendwann die Kollegen aufgrund ihrer Leistungen auffallen und wegen ihres Engagements gut beurteilt werden“, konstatiert Kriminaldirektor Nils Godry.

Nordrhein-Westfalen hat einen eigenen Weg gefunden, um die IT-Verbrechen einzudämmen. Der gefällt auch Prof. Treibert: „Mit den Cyberkriminalisten entwickelt sich ein Know-how, das die Kripo im Bereich der Bekämpfung der Cyberkriminalität wieder richtig attraktiv macht.“

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In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110